In einer Welt, in der Technologie die Grenzen zwischen Nationen verwischt und die globale Vernetzung dominiert, steht Europa vor einer entscheidenden Herausforderung: der Sicherung seiner digitalen Souveränität. Aber was bedeutet dieser Begriff, der in politischen Debatten und Technologiekreisen gleichermaßen widerhallt?
Digitale Souveränität ist die Fähigkeit einer Nation oder Region, ihre digitale Zukunft selbst zu kontrollieren, zu gestalten und zu schützen. Es geht um die Behauptung der Selbstbestimmung in einer Ära, in der Daten der neue Rohstoff und Technologie der Schlüssel zur Macht sind.
Abhängigkeiten und Risiken
Europa befindet sich derzeit in einer prekären Situation, was seine digitale Souveränität betrifft.
Der Digitale Dependenz Index (DDI) misst die digitale Abhängigkeit anhand verschiedener Kriterien, wie der Abhängigkeit von ausländischen Technologien beim Handel mit digitalen Gütern und Dienstleistungen, im Bereich der Informations- und Kommunikationsinfrastrukturen und hinsichtlich der geistigen Eigentumsrechte für digitale Technologien. Laut dem DDI haben alle vier EU-Staaten, die in die Untersuchung einbezogen wurden, eine sehr hohe Abhängigkeit von ausländischen digitalen Technologien. Im Gegensatz dazu weisen China, Südkorea und die USA eine relativ geringe bzw. keine Abhängigkeit auf.
Diese Abhängigkeit ist im Alltag deutlich spürbar: Der Lenovo-Laptop (China) wird an den Samsung Monitor (Südkorea) angeschlossen, um mit Windows (USA) Excel Dateien zu verarbeiten, die anschließend auf AWS (USA) hochgeladen werden um letztendlich einen Link zu diesen auf LinkedIn (USA) zu teilen. Aus diesen Abhängigkeiten entstehen erhebliche Risiken, wie die Gefahr von Datensicherheitsbedrohungen und Überwachung, da europäische Daten oft auf Servern gespeichert sind, die außerhalb der EU-Rechtsprechung liegen.
Ein weiteres Risiko ist der erhebliche Abfluss von Geldern aus Europa, da für die genutzten Cloud-Dienste Millionen von Euro jährlich ausgegeben werden, von denen ein Großteil an nicht-europäische Anbieter geht.
Quelle: https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Souveraenitaet-Abhaengigkeit-Digitalimporten-waechst
Warum digitale Souveränität wichtig ist: Eine Frage der Kontrolle
Die Bedeutung der digitalen Souveränität Europas erstreckt sich über mehrere kritische Bereiche. Mit der Kontrolle über seine eigenen digitalen Systeme kann Europa die Datenschutzrechte seiner Bürger besser schützen und sicherstellen, dass ihre Daten gemäß den strengen EU-Standards wie der DSGVO verarbeitet werden. Ein Beispiel für die Auswirkungen der fehlenden Souveränität ist der Fall von Safe Harbor, einem Abkommen zwischen der EU und den USA, das für ungültig erklärt wurde, da es die Datenschutzrechte europäischer Bürger nicht ausreichend schützte.
Quelle: https://www.cloud-science.de/sprachassistenten-und-der-datenschutz/
Digitale Souveränität ist auch entscheidend für Europas strategische Autonomie. Es ermöglicht eine unabhängige Entscheidungsfindung in Bereichen wie Cybersicherheit, digitale Infrastruktur und Technologieentwicklung, ohne Beeinflussung durch ausländische Interessen. Darüber hinaus kann die Entwicklung einer robusten digitalen Infrastruktur und eigener Technologien zu einem florierenden digitalen Binnenmarkt führen.
Europas Weg zur Souveränität
Europa ist nicht untätig geblieben angesichts dieser Herausforderung. Tatsächlich wurden mehrere Initiativen gestartet, um die digitale Souveränität des Kontinents zu stärken. Eine der ehrgeizigsten Initiativen ist GAIA-X, eine europäische Cloud- und Dateninfrastruktur, die als Alternative zu US- und chinesischen Anbietern entwickelt wird. GAIA-X zielt darauf ab, einen sicheren und vertrauenswürdigen Rahmen für den Austausch und die Verarbeitung von Daten zu schaffen, der europäischen Standards und Werten entspricht. Allerdings bleibt abzuwarten, ob GAIA-X tatsächlich in der Lage sein wird, die hohen Erwartungen zu erfüllen und sich gegen die etablierten Spieler durchzusetzen.
Andere europäische Unternehmen wie Hetzner oder die Schwarz Gruppe (Mutterkonzern von Lidl und Kaufland) haben bereits erfolgreich eigene Cloud-Infrastrukturen aufgebaut und bieten eine attraktive Alternative zu den US- und chinesischen Anbietern.
Darüber hinaus gibt es auch Initiativen wie eu/acc, eine dezentralisierte Community-Bewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Fortschritt in Europa durch Innovation, Technologie und eine europa-positive Einstellung zu beschleunigen. Die eu/acc-Community verfolgt das Ziel, eine Plattform für die Zusammenarbeit und den Austausch von Ideen zu schaffen, um die digitale Transformation in Europa voranzutreiben.
Ein steiniger Weg
Der Weg zur digitalen Souveränität ist nicht ohne Hindernisse. Kritiker haben Bedenken geäußert und Herausforderungen aufgezeigt, die Europa angehen muss. Einige argumentieren, dass es für europäische Unternehmen schwierig sein könnte, mit den etablierten globalen Tech-Giganten zu konkurrieren, was zu höheren Kosten und geringerer Effizienz führen könnte. Europa besteht auch aus vielen Ländern mit unterschiedlichen Interessen und Prioritäten, was zu Fragmentierung und Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit führen kann. Die Sicherstellung einer kohärenten und koordinierten Strategie ist entscheidend für den Erfolg.
"Innovation made in Europe, capitalized abroad"
Ein weiteres Hindernis auf dem Weg zur digitalen Souveränität Europas ist die Tatsache, dass viele innovative Technologien und Ideen, die in der EU entwickelt werden, letztendlich woanders kapitalisiert werden. Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI). Europa ist Heimat vieler führender KI-Forschungseinrichtungen und -Unternehmen, aber viele der erfolgreichsten KI-Start-ups haben ihren Sitz in den USA oder Asien. Dies liegt oft daran, dass europäische Start-ups Schwierigkeiten haben, die notwendigen Investitionen zu erhalten, um ihre Technologien zu skalieren und auf dem globalen Markt zu etablieren. Ein weiteres Beispiel ist das World Wide Web, das am CERN in der Schweiz entwickelt wurde. Trotz dessen stammen die meisten erfolgreichen Internet-Unternehmen, aus Nicht-Europäischen Raum.
Ein Wettlauf, der gewonnen werden muss
Europas Streben nach digitaler Souveränität ist ein Wettlauf gegen die Zeit und globale Kräfte, die bestrebt sind, die digitale Landschaft zu dominieren. Es ist ein komplexes Unterfangen, das politische, wirtschaftliche und technologische Herausforderungen umfasst. Durch die Stärkung seiner digitalen Infrastruktur, die Förderung von Innovation und die Sicherung der Datensouveränität seiner Bürger kann Europa seine Position in der globalen digitalen Ordnung behaupten.